Opel hat auf der Berliner Avus Geschichte geschrieben. Vor genau einhundert Jahren siegte Fritz von Opel beim Eröffnungsrennen der „Automobil-Verkehrs- und Uebungsstraße“ am Grunewald. Und auch das letzte Rennen auf der berühmten Strecke gewann Opel: Stefan Kissling beendete die Rennsport-Ära auf der heutigen Stadtautobahn A 115 mit einem Doppelerfolg bei beiden Läufen der Deutschen Tourenwagen Challenge. In den dazwischenliegenden 77 Jahren erlebte die Avus wie so viele Rennstrecken Tragödien und Triumphe. Opel feierte große Stunden in Berlin – die bekannteste davon ist sicherlich die Rekordfahrt des Opel RAK 2. Auch beim heißen Ritt mit dem Raketenrenner saß Draufgänger Fritz von Opel hinterm Steuer – was ihm den Spitznamen „Raketen-Fritz“ bescherte.
1921 ging alles los: Erstes Rennen, erste Freudentränen
Schon in der Planungsphase, die bereits 1909 begann, wird für die Avus eine Doppelfunktion vorgesehen. Einerseits ist sie als wichtiger Teil des Verkehrsnetzes im Berliner Westen bestimmt. Andererseits soll sie als Rennstrecke die Massen begeistern. Das Streckenlayout ist für diesen Zweck nicht wirklich ideal: Zwei Geraden mit je rund neun Kilometern Länge, die an ihren Enden mit zwei weiten Schleifen verbunden sind. Für Zuverlässigkeitsversuche eignet sich die Bahn weit besser als für spannende Überholduelle. Trotzdem fiebert ganz Deutschland dem ersten Rennen entgegen, das am Eröffnungswochenende der Deutschen Automobil-Ausstellung 1921 angesetzt ist. Am 24. September um 11 Uhr ist es endlich soweit: 16 Rennwagen von neun Herstellern nehmen die Avus unter die Räder. Mehr als 200.000 Menschen schauen zu – auf den frisch weißlackierten Tribünen, die meisten jedoch an der Strecke stehend. Für den Besucherandrang wurden rund um den Kurs 65 Kassenhäuschen aufgestellt, die seit den frühen Morgenstunden unablässig von Sonderzügen und -bussen angesteuert werden.
Das Feld wird paarweise im Abstand von 45 Sekunden am Torwächterhaus im Norden auf die Strecke gelassen. Fritz von Opel startet in der vorletzten Paarung. Sein feuerroter Opel 8/25-PS-Rennwagen mit seitengesteuertem 2,3-Liter-Reihenvierzylinder läuft hervorragend; unter dem Jubel des Publikums kämpft er sich Runde um Runde nach vorn. Am Ende distanziert er die Wettbewerber deutlich und siegt nach sieben Runden mit einer Zeit von 1:04:23 Stunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 128,84 Kilometern pro Stunde entspricht. Der zweitplatzierte Georg Klöble auf NSU liegt rund fünfeinhalb Minuten dahinter. Mit einer Zeit von 8:14 Minuten gelingt Fritz von Opel zudem die schnellste Runde des Wochenendes.
Auch am zweiten Renntag ist die Marke aus Hessen vorn dabei: Im Rennen 6 belegen Franz Breckheimer und Fritz von Opel die Plätze zwei und drei. Welche große Bedeutung der positive Auftritt der Rüsselsheimer in der Hauptstadt hat, verdeutlicht Fritz von Opel in einem Interview mit dem Berliner Tageblatt: „Ich kenne sonst keine Tränen, aber ich habe wie ein Kind geweint vor Freude.“
Auf vier und auf zwei Rädern: Opel siegt auch mit dem Motorrad
Feuchte Augen sind vom nächsten überragenden Sieg Fritz von Opels auf der Avus nicht überliefert, dafür aber eine Ehrenrunde mit großem Siegerkranz auf der Schulter. Am 24. Juni 1923 beweist von Opel einmal mehr sein sportliches Talent und tritt beim Rennen des Deutschen Motorradfahrer-Verbandes (DMV) an. Am Ende des Tages kann er sich auf seiner Opel 346-Kubikzentimeter-Rennmaschine trotz starker Konkurrenz als Sieger feiern lassen. In vier Runden erreicht er eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 87 km/h. Sein Vorsprung auf den Zweitplatzierten beträgt sechs Minuten. Der Name Opel ziert ab sofort auch im Zweiradsport die Avus-Siegerlisten.
Weißer Rauch über der Avus: Mit Raketenantrieb in ein neues Zeitalter
Mitte der 1920er wird die Avus weiter ausgebaut. Sie erhält eine Asphaltdecke statt des bisherigen Makadam-Belags, verbreiterte Schleifen aus Beton sowie neue Tribünen und eine moderne Lautsprecheranlage. Genau richtig für den spektakulärsten Tag in der 100‑jährigen Geschichte der Strecke: den Ritt auf der Rakete. Es ist der dritte Streich Fritz von Opels im Grunewald – und sein denkwürdigster.
Bereits im April 1928 hatte der Rüsselsheimer gemeinsam mit dem Publizisten und Astronomen Max Valier, dem Ingenieur Friedrich Sander und dem Rennfahrer Kurt Volkhart verwirklicht, was bisher als Utopie galt: Das Team hatte einen Opel 4/12 PS mit Raketenantrieb ausgestattet und erfolgreich getestet – den Opel RAK 1. Die Versuche sollen mit einem verbesserten Wagen und höherem Tempo fortgesetzt werden. Da die Hausstrecke in Rüsselsheim dafür ungeeignet ist, fällt die Wahl auf die Berliner Avus. Der Opel RAK 2 wird eigens für die Hochgeschwindigkeitsfahrt auf dem Chassis eines Opel 10/40 PS konzipiert. Motor und Getriebe hat der rund 560 Kilogramm schwere schwarze Renner mit dem futuristischen Design nicht, dafür aber seitliche Stummelflügel und 24 Feststoffraketen im Heck, die zusammen sechs Tonnen Schub entwickeln.
Am 23. Mai 1928 um 10 Uhr vormittags räumen die zahlreichen Polizisten die Strecke. Fritz von Opel nimmt hinter dem großen Holzlenkrad Platz. Das aufgeregte Raunen der rund 3.000 geladenen Gäste verstummt. Dann geht es Schlag auf Schlag: „Ich trete auf das Zündpedal. Hinter mir heult es auf und wirft mich vorwärts. … Ich trete nochmals, nochmals und – es packt mich wie eine Wut zum vierten Mal. Seitwärts verschwindet alles. … Die Beschleunigung ist ein Rausch. Ich überlege nicht mehr. Die Wirklichkeit verschwindet.“
Der Rüsselsheimer meistert die Nordkurve und das Aufbäumen des Wagens, denn die Flügel liefern nicht genügend Abtrieb für die halsbrecherischen 238 km/h. Nach knapp drei Minuten ist alles vorbei. Der RAK 2 rollt langsam aus, die großen weißen Rauchwolken lösen sich unter dem Jubelsturm der Zuschauer im Himmel auf: Der 29-Jährige hat der ganzen Welt eindrucksvoll bewiesen, dass der Raketenantrieb leistungsfähig und beherrschbar ist. Fortan heißt er „Raketen-Fritz“. Die Marke Opel gilt ab sofort als progressivster Autohersteller in Europa. Vor laufenden Kameras hatte das Raketenzeitalter seine Uraufführung, und die Avus diente als Bühne.