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Mercedes-Benz SL und die Vereinigten Staaten von Amerika

by Valery Reuter

Ein kompakter und wendiger Mercedes-Benz Sportwagen – ideal für den nordamerikanischen Markt. Dafür setzt sich in den 1950er Jahren Max E. Hoffman als Importeur der Marke für den Osten der Vereinigten Staaten nachdrücklich ein. Er reiste sogar nach Untertürkheim, um die Idee zu verkaufen. Denn der in Österreich geborene New Yorker war von der Bedeutung eines solchen Fahrzeugs für die USA überzeugt. Im Protokoll einer Vorstandssitzung zu diesem Thema vom 2. September 1953 heißt es: “Herr Hoffman ist zuversichtlich […], dass ein großes Geschäft in den USA nicht zu erwarten ist, ohne die Palette um Modelle zu erweitern, die für den dortigen Markt mehr als geeignet sind. […] In den USA wird von Mercedes-Benz – als Unternehmen mit einem besonders guten Ruf – erwartet, dass, was auch immer geschieht, ein Sportwagen entwickelt wird, der sich zur alleinigen Grundlage für das Überleben der Händlerorganisation entwickeln kann.”

Die Geburtsstunde der SL-Sportwagen: Das Projekt nahm schnell Gestalt an. Am 7. September und 3. Oktober 1953 berichtet Karl Wilfert, damals Leiter der Mercedes-Benz Fahrzeugerprobung und später Leiter der Karosserieentwicklung, über den aktuellen Stand. Im Mittelpunkt steht der “Kompaktsportwagen” (der spätere 190 SL), aber auch der 300 SL für den Export nach Amerika. Dieser exklusive Seriensportwagen wurde auf der Basis des erfolgreichen 300 SL-Rennwagens (W 194) von 1952 und des Einspritzmotors des Rennwagen-Prototyps für die Saison 1953 entwickelt. Walter Häcker, Leiter des Mercedes-Benz Karosseriedesigns, wird mit der “Gestaltung der Karosserieform und des Erscheinungsbildes” des 190 SL beauftragt. Das Werk Sindelfingen erhält den Auftrag, den Fahrzeug- und Modelltyp des 300 SL zu gestalten.

Vorbereitungen für die US-Premiere: Die Premiere der beiden Sportwagen war für die International Motor Sports Show 1954 in New York vorgesehen. Entsprechende Vorbereitungen standen auf der Tagesordnung der Vorstandssitzung der Daimler-Benz AG am 14. September 1953. Vorstandsvorsitzender Dr. Fritz Könecke, Entwicklungschef Dr. Fritz Nallinger und das für den Export zuständige Vorstandsmitglied Arnold Wychodil beschließen, dass “ein Sportwagen des Typs 180 zu gegebener Zeit auf den Markt gebracht wird; die beiden 300 SL-Vorführwagen werden im Februar oder März 1954 an Herrn Hoffman übergeben.” Aus dem 180er wird in den folgenden Wochen der 190 SL, da Mercedes-Benz das Kürzel “SL” aufgrund der damit verbundenen Rennerfolge beibehält. Bereits 1952 wird in den Presseinformationen über den Rennwagen erklärt, dass das “S” für “super” und das “L” für “light” steht.

Aufsehenerregendes Debüt in New York: Das 300 SL Coupé (W 198) und der offene 190 SL (W 121) stehen vom 7. bis 14. Februar 1954 auf der International Motor Sports Show in New York im Mittelpunkt des Interesses. Was Mercedes-Benz bis dahin geleistet hatte, war eine Herkulesaufgabe: Nur ein halbes Jahr nach dem Besuch von Max E. Hoffman in Untertürkheim erregte der 300 SL “Flügeltürer” große Aufmerksamkeit. Das Fahrzeug hatte fast Serienreife erlangt, lediglich Details der Serienversion wurden nachträglich modifiziert. Der 1954 in New York gezeigte 190 SL war noch ein Prototyp. Er unterscheidet sich von der späteren Serienversion unter anderem durch die bis zum Kühlergrill heruntergezogene Motorhaube mit einer kleinen Lufthutze, abweichende Kühlergrillproportionen und glatt geformte Heckflügel ohne die charakteristischen Finnen. Walter Häcker sollte diese Entwürfe bis zum Beginn der Serienproduktion im Jahr 1955 überarbeiten. Publikum und Presse sind von der Premiere begeistert: Beide Fahrzeuge, die bis dahin nicht im Programm von Mercedes-Benz zu finden waren, treffen in Nordamerika den Nerv der Zeit.

Fragen an die Zukunft: Max E. Hoffman war sich bewusst, wie sehr die Kunden in den USA von offenen Sportwagen begeistert waren. Deshalb bekräftigt er gegenüber Arnold Wychodil noch während der Internationalen Automobilausstellung, dass er auch eine Roadster-Version des Mercedes-Benz 300 SL haben möchte. Bereits am 20. Februar 1954 gibt Mercedes-Benz ein entsprechendes Musterfahrzeug für einen 300 SL Roadster mit einer Außenhaut aus Stahlblech in Auftrag. Der Roadster feierte im März 1957 seine Premiere. Der Sportwagen mit konventionellen Türen löst in der Modellpalette das 300 SL Coupé mit seinen charakteristischen Flügeltüren ab.

Hauptstützen der Pkw-Modellpalette: Die Exportzahlen spiegeln wider, wie beliebt der Mercedes-Benz SL in Nordamerika ist. Allein in den Jahren 1954 und 1955 werden 85 Prozent der in diesem Zweijahreszeitraum produzierten 300 SL Coupés (850 von 996 Fahrzeugen) in die Vereinigten Staaten von Amerika exportiert. Insgesamt hat Mercedes-Benz bis 1963 mehr als die Hälfte aller 300 SL (Coupé und Roadster) nach Nordamerika geliefert. Im ersten Produktionsjahr – 1955 – waren rund 40 Prozent oder 830 Einheiten aller US-Exporte der Stuttgarter Marke 190 SL. Nahezu die Hälfte aller 190 SL war 1955 für die Vereinigten Staaten bestimmt. Im Jahr 1957 liegt der Exportanteil dieses Sportwagens mit 54 Prozent der Jahresproduktion sogar noch höher. Insgesamt verkauft Mercedes-Benz 10.368 von 25.881 jemals produzierten 190 SL in Nordamerika – das sind 40 Prozent und machen die USA zum wichtigsten Einzelmarkt für den kompakten Sportwagen. Hier erwiesen sich die Mercedes-Benz SL-Fahrzeuge als tragende Säule für das gesamte Pkw-Programm der Marke.

US-Sportwagen-Champion: Sein sportliches Erbe unterstreicht der Mercedes-Benz 300 SL auch durch Siege im amerikanischen Motorsport. Der US-amerikanische Rennfahrer Paul O’Shea gewann dreimal in Folge die US-Sportwagenmeisterschaft der Kategorie D. Er siegte sowohl in der Saison 1955 als auch in der Saison 1956 in einem 300 SL Coupe. Im Jahr 1957 holte er sich die Meisterschaft am Steuer eines 300 SLS – einer nur zweimal gebauten Sondervariante des 300 SL Roadster. Gegenüber dem Seriensportwagen zeichnete sich der 300 SLS unter anderem durch sein geringeres Gewicht – es war auf 2.138 Pfund reduziert worden – und eine um 20 PS auf 235 PS gesteigerte Motorleistung aus. Äußerlich fiel er sofort durch das Fehlen von Stoßstangen, eine speziell geformte Cockpitabdeckung mit Lufteinlassschlitz, eine schmale Rennsport-Windschutzscheibe und einen Überrollbügel hinter dem Fahrersitz auf.

Roadster “California”: 1963 löste die “Pagode” W 113 der SL-Baureihe die beiden Vorgängermodelle ab. Eine ganz besondere Variante des Sportwagens feierte im Februar 1967 mit der Einführung des 250 SL ihre Premiere. Der “California”-Roadster verzichtete auf das Roadster-Verdeck und den Verdeckkasten und schaffte so Platz für einige Rücksitze. Diese Variante des Sportwagens bot ungetrübten Fahrspaß in Regionen mit sehr wenig Niederschlag, da er kein Stoffverdeck hatte und lediglich das aufgesetzte Coupé-Dach bot. Diese “Pagoda”-SL-Version war in den Vereinigten Staaten äußerst beliebt. Wann immer diese Fahrzeuge aus den USA nach Europa exportiert wurden, sorgten “California”-Roadster regelmäßig für Erstaunen. Die Nachrüstung eines Verdecks ist bei dieser Karosserievariante nur mit aufwendigen und kostspieligen Umbauten möglich.

Motorvarianten für Nordamerika: Anfang der 1970er Jahre war der Mercedes-Benz SL der Modellreihe R 107 in den USA zunächst als 350 SL 4.5 erhältlich. Wie beim 350 SLC 4.5 Coupé handelt es sich dabei um eine Version mit der verdichtungsreduzierten Variante des 4,5-Liter-V8-Motors M 117, die an die US-Abgasnormen angepasst wurde. Aufgrund der verschärften Abgasgesetzgebung in Kalifornien wurden ab 1974 gleich zwei Versionen dieses Fahrzeugs ausgeliefert: Die für Kalifornien gelieferten Fahrzeuge leisteten rund fünf Prozent weniger. Ab dem Modelljahr 1975 galten dann für alle US-Exportfahrzeuge die kalifornischen Werte.

Markante Silhouette: Alle 1980 eingeführten 380 SL der Baureihe R 107, die nach Amerika exportiert wurden, waren mit modifizierten Stoßfängern ausgestattet, um den US-amerikanischen Crash-Vorschriften zu entsprechen. Sie ragen vorne und hinten deutlich weiter heraus als bei Fahrzeugen für andere Märkte. Insgesamt wurde der SL dadurch 9,8 Zoll länger.

Fast ein eigenständiges USA-Modell: Als hubraumstärkste Variante bietet Mercedes-Benz ab dem Modelljahr 1985 den 560 SL der Baureihe R 107 an. Der Motor entstand durch Verlängerung des Hubs des 500 SL-Aggregats. Der 560 SL mit serienmäßiger katalytischer Abgasreinigung leistete 230 PS und damit 15 PS weniger als der 500 SL ohne Katalysator. Der Sportwagen mit dem 5,6-Liter-V8-Motor wurde fast ausschließlich in den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft (93,75 Prozent), weitere Märkte waren Australien und Japan.

US-Sondermodelle: Die technologisch innovative Baureihe R 129 des Mercedes-Benz SL war in mehreren Sondermodellvarianten für Kunden in Nordamerika erhältlich. So zum Beispiel der exklusive Mercedes-Benz SL 500 “US 500 Edition”. Von diesem Modell wurden anlässlich des “U.S. 500”-Rennens am 26. Mai 1996 auf dem Michigan International Speedway im Rahmen der Champ Car World Series (CART) lediglich 40 Fahrzeuge produziert. Weitere R 129-Sondermodelle für Nordamerika waren die “40th Anniversary Roadster Edition” (1997), die “Formula One Edition” (2000) und die “Silver Arrow Edition” (2001).

Streng genommen: Als Mercedes-Benz 2006 die überarbeitete SL-Generation der Baureihe R 230 vorstellte, war der SL 500 statt mit dem 5,0-Liter-V8-Motor mit dem neuen 5,5-Liter-V8-Motor M 273 (388 PS) ausgestattet worden. Dies brachte auch eine geänderte Modellbezeichnung für die Kunden in Nordamerika mit sich, da die damalige US-Gesetzgebung vorschrieb, dass die vom Hubraum abgeleiteten Modellbezeichnungen den tatsächlichen Wert widerspiegeln mussten. Aus diesem Grund wurde das Fahrzeug in den USA als SL 550 angeboten.

Fotos: ©Mercedes-Benz

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