Home Editor's Picks Die Chronologie: Alle Cabriolets von Renault – Licht und Luft aus Leidenschaft

Die Chronologie: Alle Cabriolets von Renault – Licht und Luft aus Leidenschaft

by Kay MacKenneth

Seit über 120 Jahren baut Renault offene Automobile. Das Spektrum der Tradition reicht vom preiswerten Kompaktwagen bis zum betörend-sinnlichen Achtzylinder. Viele Modelle sind automobile Legenden, manche Kultfahrzeuge, aber alle stehen für ein ganz besonderes Fahrvergnügen.

Die Renault Geschichte beginnt mit einem offenen Fahrzeug: Als Louis Renault im Dezember 1898 in Paris erstmals seine zierliche „Voiturette“ ausführt und sich damit tapfer die 13-prozentige Steigung zum Montmartre hinaufkämpft, schützt ihn kein Dachaufbau vor der Winterkälte. Die Demonstration der beeindruckenden Bergsteigefähigkeit weckt öffentliche Aufmerksamkeit und Begehrlichkeit kaufkräftiger Interessenten: Innerhalb weniger Tage erhält Renault den ersten Auftrag über den Bau von zwölf Automobilen – natürlich mit offenem Aufbau – unter dem Namen des genialen Konstrukteurs.

Allerdings ist es weniger das Fehlen eines festen Daches als ein revolutionäres Patent, das die „Voiturette“ so begehrt macht: Louis Renaults 1,75-PS-Vehikel ist der erste Motorwagen mit ketten­losem Endantrieb, der die Motorkraft über ein selbst entworfenes 3-Gang-Getriebe und starre Wellen an die Hinterräder überträgt. Ansonsten ist in diesen Pioniertagen so gut wie jedes Automobil ohne festes Dach unterwegs. Grund sind die Wurzeln des Automobils im Kutschenbau. Entsprechend sehen die damaligen Motorwagen aus.

Außerdem würde ein geschlossener Aufbau mit Türen, Glasscheiben und Kurbelmechanismus das ohnehin außer­ordentlich kostspielige Produkt Automobil noch teurer, wenn nicht gar unerschwinglich machen. Die Chauffeure selbst fügen sich klaglos in ihr Schicksal und hüllen sich in der kalten Jahreszeit in warme Decken, Schals und dicke Mäntel, weil sie nichts anderes kennen und die Fahrgeschwindigkeiten sehr moderat sind.

Kapriolen im Cabriolet
Auch der Begriff „Cabriolet“ selbst stammt aus dem Kutschenbau. Ein Cabriolet ist ursprünglich eine zweirädrige, zwei- bis dreisitzige halb offene Kutsche, die im 18. Jahrhundert in Paris groß in Mode kommt. Aufgrund der Bauweise ist der Einspänner so leicht, dass er auf den holprigen Straßen Luftsprünge vollführt – so eine mögliche Erklärung und Legende. Das französische Wort hierfür heißt „cabrioler“. Schon vor über 200 Jahren ist das Cabriolet in erster Linie ein extrovertiertes Freizeit-Fahrzeug zum Sehen und Gesehenwerden – und mit dem sein Besitzer „Kapriolen“ schlagen kann, so die weitere Wortbedeutung. Als Idealbesetzung gilt der modisch-schicke Dandy mit weiblicher Eroberung im Arm.

Bis sich das „Cabriolet“ als Gattungsbegriff für das Automobil durchsetzt, wird es allerdings noch bis in die 1920er-Jahre dauern. Weitere Oben-ohne-Kreationen mit einfachen Segeltuch-Verdeckkonstruktionen ohne feste Seitenscheiben bevölkern die automobile Landschaft. Zu den Angeboten gehören „Phaeton“ (Tourenwagen mit zwei oder vier Türen und Segeltuchverdeck ohne Seitenscheiben) „Tonneau“ (mit weiterer Tür im Heck), „Runabot“ (mit Sitzbank für zwei Personen) oder „Torpedo“ (Motorhaube und Gürtellinie bilden eine durchgehende Linie).

Nicht alle Karosserien dieser Zeit sind Werksanfertigungen. Ab Fabrik wird in der Frühzeit des Automobils zumeist nur das nackte Chassis bestellt. Darauf montieren dann die Hersteller oder freie Karosseriebauer einen individuellen Aufbau der Wahl. Deswegen kursiert von jedem Typ eine heute unvorstellbare Vielzahl von Varianten.

Knochenarbeit am Verdeck
Von den praktischen Verriegelungsmechanismen heutiger Open-Air-Modelle, die meist nur einen Handgriff erfordern oder komplett elektrisch funktionieren, sind die damaligen Verdecke meilenweit entfernt. Das Öffnen des mit Leinen überzogenen Holz- oder Metallgestänges erfordert so viel Kraft, dass in der Regel zwei Personen dafür nötig sind. Außerdem müssen die Chauffeure und ihre Helfer in einer komplizierten Prozedur filigrane Streben aufrichten und Riemen spannen, die verhindern, dass der Fahrtwind das Faltdach einfach wegbläst.

Auch nach dem Ersten Weltkrieg bleiben offene Fahrzeuge der Regelfall. Die große Limousinen-Offensive setzt in Europa erst Ende der 1920er-Jahre ein. Neben dem wachsenden Komfort­bedürfnis sind auch die zunehmenden Höchst­geschwindigkeiten der Fahrzeuge ein Grund dafür. Außerdem machen moderne Produktionstechniken den Bau geschlossener Aufbauten günstiger. Nur in den preiswerteren Klassen halten sich offene Wagen noch etwas länger. Am oberen Ende des Modell­programms wandeln sich Cabriolets und Roadster hingegen zusehends zum Prestigeobjekt und Lifestyle-Fahrzeug.

1901: Das erste Faltdachfahrzeug von Renault
Mit dem Typ 4 CV (vier Steuer-PS) „Luxe“ bringt Renault 1901 ein Modell heraus, das als Vorbild vieler späterer Cabriolets im Zeichen des Rhombus gilt: Neben einem Köcher für die Golfschläger des Herrenfahrers besitzt der „Luxe“ anstelle eines aufwändig zu montierenden Baldachins erstmals ein praktisches Klappverdeck. Noch aus anderem Grund ist der 2,6 Meter lange Straßenfloh mit 450-Kubikzentimeter-Einzylindermotor bemerkenswert: Er ist das erste Renault Modell mit richtigem Lenkrad.

1906: Start für zwei sportliche Cabriolets
Bei Renault tritt 1906 erstmals der Name „Cabriolet“ als Zusatzbezeichnung in Erscheinung. Er gilt einem schicken Zweisitzer mit kurzer Motorhaube und langem, flachem Heck: dem Typ AH 10 CV. Das sportliche Modell – nach heutigem Verständnis eher ein Roadster – wird von einem Vierzylinder mit 2,1 Liter Hubraum angetrieben. Die Spitzengeschwindigkeit von 50 km/h lässt sich auf den damaligen, unbefestigten Straßen kaum ausfahren. Noch schneller ist die offene Variante des Prestigemodells AI 35 CV. Dank seiner starken 7,4-Liter-Maschine schafft der völlig ohne Dach angebotene Zweisitzer sensationelle 80 km/h.

1908: Prestigeträchtige Hubraumgiganten
Der Typ AR 50 CV beschleunigt mithilfe des mächtigen Sechszylindertriebwerks und 9,5 Liter Hubraum auf bis zu 100 km/h. Besonders außergewöhnlich ist die Doppel-Phaeton-Variante mit drei Sitzreihen, von denen sich die beiden ersten gegen Regen und Schnee notdürftig mit einem Verdeck schützen lassen. Der Passagier im hinteren Notsitz muss bei tiefen Temperaturen im Freien bibbern. Auch vom Nachfolger 40 CV, der 1911 mit technisch verfeinertem 7,5-Liter-Aggregat erscheint, können die Kunden neben geschlossenen und halb offenen Ausführungen auch opulente Frischluftvarianten ordern.

1914: Sportlicher Renner mit Stromlinienkarosserie
Am Vorabend des Ersten Weltkriegs bringt Renault den Typ 20 CV Sport heraus. Wie die meisten Renault Fahrzeuge seiner Zeit ist der 85-km/h-Renner in einer Vielzahl von Aufbauten und Sitzkombinationen erhältlich. Ins Auge sticht vor allem der zweisitzige Torpedo, dessen aerodynamisch inspirierte Karosserie genau so aussieht, wie sie heißt, und ihrer Zeit weit voraus ist.

1929: Premiere für den Reinastella
In den 1920er-Jahren drängen zusehends amerikanische Hersteller mit modernen und preiswert produzierten Sechs- und Achtzylindermodellen auf den europäischen Automobilmarkt. Um im Wettbewerb gegen die neue Konkurrenz aus Übersee zu bestehen, beschließt Renault den Bau eigener Fahrzeuge mit Reihenachtzylinder-Triebwerk. Als erstes Modell der neuen Luxusklasse debütiert 1929 der Reinastella. Der laufruhige Hubraumriese (7,1 Liter) bringt es auf die üppige Motorleistung von 110 PS.

Renault beauftragt die namhafte Firma Hibbard & Darrin mit der Gestaltung sämtlicher Werkskarosserien. Auf diese Weise entstehen insgesamt elf verschiedene Aufbauten, diverse Faltdachvarianten inklusive. Darüber hinaus können sich die betuchten Kunden die Außenhaut ihres Reinastella auch von freien Karosseriebauern wie zum Beispiel Binder, Kellner, Letourneur & Marchand, Million-Guiet oder Weymann maßschneidern lassen.

Im wahrsten Sinne staatstragend und Beweis für das Prestige der Baureihe sind die offenen Reinastella-Präsidentenkarossen, die seit 1931 entstehen.

1930: Traum-Cabriolets im Jahresrhythmus
In der Folgezeit bringt Renault fast im Jahresrhythmus neue Acht­zylindermodelle heraus. Zunächst den Nervastella (ab 1930), dann den Nervasport (ab 1932), gefolgt vom Reinasport (ab 1933). Beide Nerva-Typen verfügen über einen 4,24 Liter großen Reihen­achtzylinder mit 100 PS, während im Reinasport zwar das Chassis des Nervasport, aber der 7,1 Liter große Motor des Reinastella zum Einsatz kommt. Mit Höchstgeschwindigkeiten bis zu 150  zählen sie zu den schnellsten europäischen Fahrzeugen ihrer Zeit. Das prestigeträchtige Trio ist auch in diversen Faltdachvarianten mit zwei bis fünf Sitzen erhältlich.

1935: Luxus total im Nerva Grand Sport
Die Entwicklung großvolumiger Luxuswagen kulminiert im Renault „Nerva Grand Sport“ von 1935. Das ausladende Art-déco-Cabriolet gilt bis heute als Inbegriff für französische Eleganz auf höchstem Niveau. Sein Gegenstück in der kaum weniger prestigeträchtigen Sechszylinder-Liga ist der Viva Grand Sport. Die Renault Designer setzen bei beiden Modellen eine ungewohnt konsequente aerodynamische Linienführung um, welche die Konkurrenz mit einem Schlag alt aussehen lässt.

Vom Vierzylindermodell Monaquatre (1,5 Liter Hubraum, bis 105 km/h) entsteht im selben Jahr eine viersitzige Frischluft­ausführung mit Namen „Coach“ und als feines Designerstück auch eine Roadster-Variante mit vorklappbarer Windschutzscheibe (Cabriolet décapotable).

1938: Juvaquatre mit Dachsystem „Alle Wetter“
Doch nicht nur die Reichen und Schönen kommen in den Genuss von Grand-ouvert-Fahrspaß. Mit dem Juvaquatre stellt Renault 1938 den Vorläufer der modernen Kompaktwagen vor. Das nur 3,6 Meter lange Modell zeichnet sich durch seine selbsttragende Ganzstahlkarosserie und vier vollwertige Plätze aus. Von dem neuen Baumuster kommen auch drei Varianten mit unterschiedlich großem Faltdach heraus.

Renault lässt diese bei der Tochterfirma SAPRAR (Société Anonyme Pièces Réparations Accessoires Renault) fertigstellen, die normalerweise mit original Renault Ersatzteilen, Zubehör und Werkzeug handelt. Das System „Tous-Temps“ („Alle Wetter“) erfüllt mit seinem extra breiten Dachausschnitt, der nur noch schmale Dachholme übrig lässt, fast schon die Voraussetzung für ein Voll-Cabriolet.

1939: Großes Finale mit dem Suprastella
Am anderen Ende der Modellpalette zieht Renault noch einmal alle Register: Das 1939 vorgestellte achtzylindrige Repräsentations- und Luxusauto Suprastella mit 5,4 Liter Hubraum stellt alles zuvor Dagewesene in den Schatten. Mit bis zu 5,60 Meter Länge sowie einem Radstand von bis zu 3,72 Metern gehört der imponierende Riese noch heute zu den längsten Automobilen, die je in Europa gebaut wurden. Fünf unterschiedliche Karosserie-Versionen bietet Renault für den Suprastella ab Werk an, darunter auch ein hochelegantes zweitüriges Cabriolet. Doch bevor die volle Pracht dieses begeisternden Automobils richtig zur Geltung kommen kann, bricht der Zweite Weltkrieg aus.

Eine Sonderanfertigung des Suprastella dient bis Anfang der 1950er-Jahre dem Präsidenten der französischen Republik als Repräsentationsfahrzeug. Damit sich der Staatschef und seine Gäste den jubelnden Massen zeigen können, bekommt das repräsentative Straßenschiff ein weit über alle drei Sitzreihen gespanntes Klappverdeck.

1949: Open-Air-Vergnügen für viele im 4 CV Décapotable
Nach Kriegsende gilt es erst einmal, die automobilen Grund­bedürfnisse zu befriedigen. Ein Kleinwagen, zu niedrigen Kosten in Massenproduktion gefertigt, soll Frankreich motorisieren und Renault erneut als Hersteller von Personenwagen etablieren. Unter dem Namen 4 CV steht der Hoffnungsträger im Oktober 1946 auf dem Pariser Automobilsalon, ein Jahr später startet der Verkauf des praktischen Viertürers. Ab 1949 ist der überaus erfolgreiche 4 CV auch in der Frischluftversion „Décapotable“ mit großem Faltdach erhältlich. Damit wird offenes Fahrvergnügen wieder für breite Käuferschichten erschwinglich. In alter Tradition überlässt Renault die Verwandlung anfangs der Tochterfirma SAPRAR. Diese liefert für den 4 CV Décapotable auf Wunsch auch luxuriöse Zusatzausstattungen wie verchromte Felgen, noble Ledersitze und ein Lenkrad aus Plexiglas.

Die Nachfrage ist so groß, dass Renault bereits 1950 den Umbau des 4 CV Décapotable selbst übernimmt. Mit schickem Velours-Interieur, viel Chrom innen und außen sowie Weißwandreifen bewegt sich der „Cremeschnittchen“-Fahrer stilsicher durch das beginnende Wirtschaftswunder. Für adäquate Leistung sorgt die auf 21 PS gesteigerte Maschine.

1953: Cabrio-Versionen von Künstlerhand für die Frégate
Während der 4 CV Décapotable die Herzen der europäischen Fans im Sturm erobert, beauftragt Renault ab 1953 eine Reihe namhafter Karosseriebauer, auch die gehobene Mittelklasselimousine „Frégate“ zum exklusiven Cabriolet für Kenner umzuwandeln. Dank Einzelradaufhängung vorn und hinten bietet der Viertürer einen Fahrkomfort, der seiner Zeit weit voraus ist. Die Cabrio-Varianten sollen der Baureihe zusätzlich Glamour bescheren. Unter den auserwählten Blechschneidern befinden sich berühmte Namen wie Ghia, Mignon & Billebault und Letourneur & Marchand.

Ihre in Handarbeit gefertigten Stahl- oder Glasfaserkarosserien sorgen für großes Aufsehen. So dient das unter der Bezeichnung „Ondine“ vermarktete Modell von Ghia der Chanson-Sängerin Edith Piaf als Tourneefahrzeug. Tour-de-France-Direktor Jacques Goddet nutzt es als mobilen Kommandostand. Mit gerade einmal 69 fertiggestellten Exemplaren ist das von 1954 bis 1959 gebaute Modell von Letourneur & Marchand zwar das meistgebaute Frégate-Cabriolet, trotzdem aber eine echte automobile Rarität von höchstem Wert.

1959: Floride und Caravelle erobern die Welt
Zum echten Publikumsrenner avanciert das berühmteste Renault Cabriolet aller Zeiten: In Europa trägt es den Namen „Floride“, in den USA heißt es „Caravelle“. Auf Anregung amerikanischer Vertragshändler beschließt Renault 1957 den Bau eines hübschen Coupés und Cabriolets auf Dauphine-Basis. Mit der Heckmotorlimousine hat das Unternehmen in den USA bereits sensationelle Exporterfolge gelandet. Als dritte Variante des flachen Schönlings kommt das „Convertible“ hinzu. Es ist mit versenkbarem Stofffaltdach und zusätzlichem abnehmbarem Stahl-Hardtop der legitime Vorgänger der modernen Mégane Coupé-Cabriolets.

Der Grundentwurf des 2+2-Sitzers stammt vom namhaften italienischen Designer Pietro Frua und erhält in der Designabteilung von Renault den letzten Feinschliff. Ergebnis ist eine schnörkellose Formgebung von zeitloser Eleganz. Doch nicht nur die eigenständigen Linien verhelfen der Floride zum Start nach Maß: Eine spektakuläre Fotoproduktion mit der Leinwandgöttin Brigitte Bardot heizt die Begehrlichkeit noch zusätzlich an und macht Floride und Caravelle über Nacht rund um die Welt berühmt. In Deutschland ist das Floride Cabriolet 1961 Dienstwagen von „Miss Germany“ Marlene Schmidt.

Bei aller Schönheit: Floride und Caravelle haben auch praktische Seiten: Fahrer und Beifahrer profitieren von fürstlichen Platzverhältnissen. Die Vordersitze lassen sich der Länge nach verstellen. Der Kofferraum im Bug der gallischen Schönheit fasst 240 Liter. Die Rücksitzlehnen lassen sich mit einem Handgriff vorklappen, um bei der Fahrt zu zweit weiteren Stauraum zu bieten.

1969: Spaßmobil für Blumenkinder
Die etwas andere Definition von Lifestyle liefert der Renault 4 „Plein Air“, mit dem Renault 1969 die Cabrio-Szene aufmischt. Hatten bei der Weltpremiere des R4 acht Jahre zuvor Kritiker geunkt, der neue Renault sei wohl die höchste Evolutionsstufe des Regenschirms, so scheint es nun, als hätten seine Konstrukteure dieses Urteil als Empfehlung verstanden. In der Tat stellt der Plein Air rein optisch die schlichteste Form des Cabriolets dar und scheint 60 Jahre Automobilentwicklung konsequent zu negieren. Denn die Konstrukteure schneiden für das Spaßmobil dem Renault 4 nicht nur das Dach ab, sondern entfernen auch Fenster und Türen. Der Cabrio-Urahn 4 CV von 1901 lässt grüßen.

Vor dem Herausfallen schützt im Plein Air lediglich eine kunststoffumhüllte Kette, statt Einzelsitzen gibt es eine durchgehende Sitzbank, und das Verdeck besteht aus simplem, einlagigem Tuch. Genau diese Einfachheit des Plein Air ist auch sein Erfolgsrezept: Ende der 1960er-Jahre – es ist die Zeit von Flower-Power und außerparlamentarischer Opposition – sind Automobile en vogue, die von der Norm abweichen und den Traum von Freiheit bedienen. Der Renault 4 Plein Air mit seiner radikalen Frischluftstrategie erfüllt dieses Bedürfnis perfekt.

1971: Minimalismus für Frischluftpuristen
Nur zwei Jahre später übertrifft eine noch gewagtere Konstruktion den Plein Air: der Renault 4 Rodéo. Seine kantige Kunststoffkarosserie deckt in der Basisversion „Evasion“ gerade einmal Räder und Motor ab. Die eher symbolisch gemeinten Türen lassen sich schnell und unkompliziert aushängen, so dass Fahrer und Passagiere nahezu rundum im Freien sitzen. Die Windschutzscheibe wird nach vorn umgeklappt, um den Fahrtwind in vollen Zügen zu genießen.

Als „Chantier“ besitzt der Rodéo immerhin ein Verdeck für die Vordersitze. Das längere Stoffdach des „Coursière“ hält sogar die Ladefläche trocken – solange der Regen direkt von oben fällt. Der „Artisane“ verfügt über Steckscheiben vorn. Und im Ganzjahres­modell „Quatre-Saisons“ hält geradezu der Luxus in Form eines kompletten Verdecks mit Plastikscheiben Einzug.

An der Côte d’Azur und der Atlantikküste etabliert sich der vorzugsweise in grellbunten Sommerfarben georderte Rodéo schnell als Fun-Mobil erster Güte. Doch auch die Gendarmerie, Landwirte, Jäger und Förster wissen die robuste Bauweise und die langen Federwege zu schätzen.

1985: Born in the USA – Renault Alliance Convertible
Auch wenn Renault sein Kerngeschäft im alten Europa macht, bleibt die Neue Welt stets im Blickpunkt der Manager aus Paris. Als Türöffner zum US-Markt dient in den 1980er-Jahren das Kompaktmodell Renault 9. Der französische Hersteller lässt das „Auto des Jahres 1982“ unter dem Namen Renault Alliance beim US-Partner American Motors Corporation (AMC) produzieren. Zu den US-Derivaten der populären Limousine zählt ab 1985 auch das Renault Alliance Convertible. Der offene Zweitürer ist bei seinem Erscheinen das preisgünstigste Cabriolet auf dem amerikanischen Markt, verwöhnt aber dennoch mit luxuriösen Seriendetails wie dem elektrisch betätigten Dachmechanismus und der Servolenkung.

Das plüschige Interieur mit dem großflächigen Instrumententräger und vielen Chromzierleisten ist ein Tribut an den amerikanischen Geschmack. Das kantige Äußere mit den massiven Stoßfängern und den rechteckigen Doppelscheinwerfern ist von den US-Sicherheitsbestimmungen geprägt. Als Antrieb dienen bewährte Vierzylindermotoren mit 1,4 Liter, 1,7 Liter oder 2,0 Liter Hubraum. Insgesamt baut AMC in drei Jahren 10.623 Alliance Convertibles.

1986: Renault 5 Cabriolet ganz ohne Erdbeerkörbchen-Look
Der Erfolg des US-Modells kommt gerade recht und bringt die Renault Strategen ins Grübeln. Die Gattung Cabriolet befindet sich in dieser Zeit nämlich in einer existenziellen Krise. Hintergrund: Aus den Vereinigten Staaten schwappt in den 1970er-Jahren eine Sicherheitsdiskussion nach Europa, bei der das Thema Überschlag im Brennpunkt steht. Die wenigen Hersteller, die sich noch an die Produktion von Faltdachfahrzeugen wagen, verpflanzen massive Überrollbügel in ihre Kreationen und gründen so die Gattung der „Erdbeerkörbchen“. Nicht schön, aber funktionell.

Umso erfreuter ist deshalb die Fachwelt, als 1986 ein offener Renault 5 auf der Bildfläche erscheint – ganz ohne Henkelmann-Look, dafür zu einem günstigen Verkaufspreis. Das hübsche Fünfer-Cabriolet stammt aus Belgien, wo der Ex-Rennfahrer Ernst Berg den „kleinen Freund“ seines Daches beraubt. Der Verlust wird zum Gewinn: Im geschlossenen Zustand erscheint der Renault 5 in seiner typischen Silhouette, geöffnet senkt sich das Faltdach bis unter Kopfstützenniveau ab, so dass Fahrer und Passagiere optimalen Rundumblick genießen. Massive Stahlprofile verstärken das Chassis des aufgeschnittenen Renault 5.

Zu einer regulären Serienfertigung kommt es leider nie. Dafür entstehen unter der Regie von Renault Belgien einige Exemplare, die offiziell über das Renault Händlernetz vertrieben werden und heute zu den gesuchten Youngtimern mit Raritätenstatus zählen.

1991: Bügelfreier Schick im Renault 19 Cabriolet
Die positive Resonanz auf das Renault 5 Cabriolet bekräftigt Renault darin, bei seinen offenen Modellen fortan dem „henkellosen“ Erscheinungsbild treu zu bleiben. Mit einem blitzsauberen Design ohne Schnörkel debütiert 1991 das Renault 19 Cabriolet. Entscheidend zur harmonischen Linienführung des vollwertigen Viersitzers trägt bei, dass eine formschöne Klappe aus Kunststoff das zurückgeklappte Dach abdeckt. Hier ruht es geschützt vor Staub und Vandalismus. Die von keinerlei Dachwulst beeinträchtigte keilförmige Silhouette macht das Renault 19 Cabriolet zu einem der schnittigsten Vertreter seiner Klasse.

Der Verzicht auf den Überrollbügel bedeutet keinen Kompromiss in Sachen Sicherheit. So verstärkt Renault den Windschutzscheiben­rahmen und die Längsträger massiv, um die Insassen nicht nur bei einem Überschlag gut zu schützen.

Das Cabriolet 16V bietet mit dem 99 kW/135 PS starken 1,8-Liter-Triebwerk vorzügliche Fahrleistungen und ist optisch nur an der Hutze auf der Motorhaube zu erkennen.

1995: Gokart für die Straße
Für Anhänger der reinen Lehre zieht Renault 1995 überraschend ein Ass aus dem Ärmel, das unverzüglich Ikonen-Status erringt: den Spider Renault Sport – ein heute seltenes Liebhaberfahrzeug. Sein Konzept ist radikal. Der Mix aus Mittelmotorbauweise, lupenreinem Rennfahrwerk und Leichtbau macht den ultraflachen Zweisitzer zum Suchtmittel für Puristen und Kurvenhungrige.

Ursprünglich ist der Spider für den Rennsport konzipiert und macht in den Markenpokalen Furore. Seine futuristische Kunststoff­karosserie besteht mit Ausnahme der spektakulär nach oben schwenkenden Flügeltüren aus gerade einmal drei Teilen. Für den Unterbau kommt in bester Rennsporttradition ein leichtes und verwindungssteifes Gitterrohrchassis aus Aluminium zum Einsatz. Die Ausstattung beschränkt sich auf das Allernötigste. Eine Windschutzscheibe gibt es nur gegen Aufpreis. An ihre Stelle tritt ein flacher Windabweiser vor dem Cockpit. Ein Verdeck gegen Wind und Wetter? Unnötig.

Das Fahrwerk bietet ebenfalls pure Rennsporttechnik. Im Rücken des Piloten arbeitet ein quer zur Fahrtrichtung eingebautes 2-Liter-Aggregat, das 108 kW/147 PS mobilisiert. Der Vierzylinder treibt den nur 930 Kilogramm schweren Spider Renault Sport in 6,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Als Höchstgeschwindigkeit sind 215 km/h möglich.

1997: Mégane Cabriolet mit guter Figur aus jeder Perspektive
Weitaus komfortabler ist das Mégane Cabriolet, das 1997 als Nachfolger des Renault 19 Cabriolet auf den Markt kommt und heute ein kommender Klassiker mit Youngtimer Status ist. Dominantes Designelement des eleganten Flitzers ist das Oval, das sich in der Gestaltung von Scheinwerfern, Kühlluftöffnungen, Türgriffen, Rückleuchten und Innenraum wiederfindet.

Die technische und optische Basis bildet das Mégane Coupé. Beim renommierten Spezialisten Karmann in Osnabrück werden die Dächer der angelieferten Rohkarosserien abgetrennt, Verstär­kungen an wichtigen Stellen wie Schwellern, Dachpfosten und Windschutzscheibenrahmen eingefügt und die Autos mit allen cabriospezifischen Teilen komplettiert. Die Endmontage erfolgt im traditionsreichen Alpine-Werk in Dieppe.

Spitzenmotorisierung zum Marktstart ist der Vierventiler 2.0 16V aus dem Spider mit 108 kW/147 PS, der 215 km/h Höchstgeschwindigkeit erlaubt. Zur Modellpflege 1999 wird er durch den ersten europäischen Benzin-Direkteinspritzer 2.0 16V IDE (Injection Directe Essence) mit 103 kW/140 PS abgelöst.

Fotos: ©Renault

Die unbefugte Verwendung und / oder Vervielfältigung von redaktionellen oder fotografischen Inhalten von Classic-Car.TV ohne ausdrückliche und schriftliche Genehmigung des Herausgebers ist strengstens untersagt. Auszüge und Links dürfen verwendet werden, sofern Classic-Car.TV mit einem angemessenen und spezifischen Verweis zum ursprünglichen Inhalt, vollständig und eindeutig in Verbindung gebracht wird.

The unauthorized use and/or duplication of any editorial or photographic content from Classic-Car.TV without express and written permission from the publisher is strictly prohibited. Excerpts and links may be used, provided that full and clear credit is given to Classic-Car.TV with appropriate and specific direction to the original content.

Related Articles