Home News2020 Der wahrscheinlich berühmteste Lancia der Welt – eine Restaurationsgeschichte

Der wahrscheinlich berühmteste Lancia der Welt – eine Restaurationsgeschichte

by Désirée Rohrer

Jahrelang glaubte man, dass ein sagenumwobener Lancia Aurelia B20GT mit tadellosem Rennsporterbe und einer einzigartigen abgesenkten Dachlinie für immer verloren war. Doch nach einer zufälligen Begegnung in einem Lager in Southend mit den Oldtimer-Spezialisten von Thornley Kelham durfte einer der berühmtesten Lancias wieder zu seinem alten Ruhm kommen. Hier seine Geschichte:

Der Wagen wurde 1951 von Giovanni Bracco, einem wohlhabenden Privatier und selbst Teilhaber von Gianni Lancia, neu gekauft und eroberte nur wenige Tage, nachdem er das Werk verlassen hatte, die Rennsportwelt im Sturm. In jenem Jahr belegte er innerhalb von drei Monaten den 2. Gesamtrang bei der Mille Miglia, den 1. Platz beim Caracalla-Nachtrennen und den 1. Platz in seiner Klasse bei den 24 Stunden von Le Mans. Später im Jahr sollte er das 6-Stunden-Rennen von Pescara gewinnen, ebenfalls mit Giovanni Bracco am Steuer. Am faszinierendsten war jedoch die abgesenkte Dachlinie dieses Autos, von der Zeitungsberichte verlauteten, dass es sich dabei um einen von Lancia selbst durchgeführten Versuch zur Verbesserung der Aerodynamik handelte.

Das Auto stand 1951 bei der Carrera Panamericana mit seiner neu abgesenkten Dachlinie in der Startaufstellung, doch Bracco flog am vierten Tag aus einer starken Position aus dem Rennen. Im folgenden Jahr fuhr er mit einem neuen Fahrer am Steuer zurück zur Panamericana. Der mexikanische Architekt Paredo hatte das Auto von Bracco gekauft, es umgebaut und fuhr beim zermürbenden 2.000-Meilen-Rennen von Grenze zu Grenze in Mexiko auf Platz 9 seiner Klasse. Von da verlief die Geschichte des Autos im Sande und es galt jahrelang als verschollen, bis es vor einiger Zeit in den USA wiedergefunden wurde.

Simon Thornley erfuhr von dieser Entdeckung durch einen Geschäftskollegen, Mark Donaldson, als das Auto gerade von den Staaten nach Italien verschifft wurde und über Großbritannien in die EU gelangte. Und so begann Simon in einem Zolllager in Southend vorläufig mit der Recherche, ob es sich wirklich um einen der berühmtesten Lancias der Welt handeln könnte. Die Motor- und Fahrgestellplatten schienen korrekt zu sein, die in die Motorhaube angebrachten Löcher passten zu den Motorhaubengurten der damaligen Zeit und ein Hebel neben dem Beifahrersitz schien mit einem internen System zur Einstellung der Hinterradaufhängung zu passen, das an diesem Auto angebracht worden war.

Unter der abblätternden weißen Lackierung, dem Buckel hinten – irgendwann in seinem Leben aufgepfropft – und dem Rost deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass es sich tatsächlich um den B20-1010 handelte: dasselbe Auto, das im Sommer 1951 die europäische Rallyeszene dominierte. Nun bestand die Herausforderung für Thornley Kelham in Zusammenarbeit mit seinem Besitzer darin, dieses Auto wieder in den Zustand zu versetzen, in dem es 1951 bei der Carrera Panamericana mit Bracco am Steuer antrat, und dabei so viel von seiner Originalität zu bewahren wie möglich.

Zurück in der Restaurierungseinrichtung von Thornley Kelham in den Cotswolds machte sich das Team daran, so viel wie möglich über dieses Auto zu lernen. Das Heck war rätselhaft; dieses Auto hatte sicherlich ein abgesenktes Dach, aber es war auch weitgehend neu profiliert worden, um ein käferähnliches Aussehen zu erhalten; sehr bucklig und mit gewölbten Seiten. Die Heckscheibe sah falsch aus, und der Kofferraumdeckel gehörte nicht zu Aurelia. Ebenso war der Kofferraumboden falsch mit einem Kraftstofftank, der nicht von Aurelia stammte, und der gesamte Innenraum war mit einer sehr dicken Schicht Unterbodenschutz bedeckt. Es war klar, dass das hintere Ende des Wagens eine Amerikanisierung war – ein Ende der 1950er/Anfang der 60er Jahre durchgeführter Umbau auf einen Bleischlitten. Die Heckscheibe, der Kofferraum und ein Teil der Heckflügel eines unbekannten Autos waren geschickt auf den B20GT aufgepfropft worden.

Das gesamte Heck musste entfernt werden, und das Team von Thornley Kelham fertigte nach Spezifikationen, die anhand von 3D-Scans und Fiberglasformen ermittelt wurden, ein neues an. Das Metallbearbeitungsteam war auch dafür verantwortlich, die Karosserie strukturell einwandfrei zu machen, vom Original zu retten, was es konnte, und, wo nötig, zu verstärken. Da der Großteil des Originalbodens fehlte, war dies keine leichte Aufgabe. Das richtige Profil war ein wichtiger Teil des Projekts, und das Auto wurde erst für die Lackierung vorbereitet, nachdem es von einer Gruppe von Lancia-Experten abgesegnet worden war.

Die Lackierung dieses berühmten Aurelia sollte ein entmutigender Prozess sein, aber das Team war sich einig, dass sie so weit wie möglich der Geschichte des Autos nachempfunden werden sollte. Der B20-1010 war zeitweise schwarz, wurde aber – wie es bei italienischen Autos üblich war – für seinen Einsatz in Le Mans rot lackiert, für sein Debüt bei der Carrera Panamericana wurde es aber wieder schwarz lackiert. Also machte sich das Team Thornley Kelham daran, ihn zunächst schwarz, dann rot und schließlich wieder schwarz zu lackieren.

Nach der letzten Schicht wurde die Beschriftung Mark Amis anvertraut, der den Panamericana-Look des Originalautos perfekt nachmachte, indem er zeitgenössische Schwarz-Weiß-Bilder verwendete und die Markenlogos ausgiebig auf die Farben abstimmte.

Ein Großteil der Innenausstattung war nicht wiederzuerkennen, aber sorgfältige Nachforschungen führten das Team schließlich zu der Entdeckung, dass dieser Aurelia mit Lancia Ardea-Sitzen aus der damaligen Zeit ausgestattet war. Anhand von Bildern von seinem Rennen bei der Carrera Panamericana begann Rob O’Rourke mit dem Prozess, die Innenausstattung perfekt auf den Originalzustand zu trimmen.

Unter Berücksichtigung der umfangreichen Karosseriearbeiten, Innenverkleidungen, mechanischen Restaurierungen und Lackierungen hat das Team von Thornley Kelham weit mehr als 4.000 Stunden und mehr als drei Jahre für die Restaurierung des Ex-Bracco Aurelia B20GT aufgewendet. Dies war nicht nur eine Leidenschaft für das Team, sondern führte auch zur Entstehung von Thornley Kelhams limitierter Auflage des Aurelia “Outlaw” von Thornley Kelham. Die Einzelstücke von neun Fahrzeugen verfügen jeweils über eine abgesenkte Dachlinie, wie das Bracco-Auto, aber mit einer Reihe maßgeschneiderter Upgrades, darunter ein ausgebohrter Flaminia-Motor mit Kraftstoffeinspritzung, moderne Scheibenbremsen und eine stickstoffgefüllte Vorderradaufhängung. Jedes Auto wird – sowohl innen als auch außen – genau nach den Wünschen seines Besitzers gestaltet.

Fotos: ©Thornley Kelham

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