Pininfarina entwickelte sich im Laufe der 60er Jahre zu einem extrem erfolgreichen Unternehmen. Mittlerweile hatte die Firma die Möglichkeiten sowohl die Entwicklung der Technik als auch das Design komplett in Haus durchzuführen. Ein weiterer wesentlicher Vorteil war die Möglichkeit, die Serienfertigung einzelner Modelle abwickeln zu können. Forschung und Entwicklung wurden immer mehr ausgebaut. Ab 1972 hatte Pininfarina auch einen eigenen Windkanal, in dem auch Forschungsprojekte und Untersuchungen zur Aerodynamik von Pininfarina als Subunternehmer durchführt werden konnten. Im Windkanal entstanden zum Beispiel Modelle wie der keilförmige Alfa Romeo P33 Cuneo von 1971, die NSU RO-80 Coupé Studie, der Alfa Romeo Alfetta Spider von 1972 oder auch der Ferrari 512S Modulo. Aufgrund des Know-hows erhielt Pininfarina sogar öffentliche Forschungsaufträge, wie die Entwicklung der Studie CNR e1 für das italienische Nationalkonzil für Forschung (CNR). Mit dieser aerodynamischen Studie erreichte Pininfarina einen CW-Wert von 0.172. Auch Fiat vergab einige Forschungs-Aufträge an Pininfarina, wie 1978 die Entwicklung des ökologischen Stadtautos Ecos. Weitere Highlights der 70er Jahre aus dem Windkanal bei Pininfarina sind der Ferrari 375 GT/4 BB, Autobianchi A112 Giovanni, die Studie Ferrari CR25 mit Spoiler an der Front von 1974 und der Jaguar XJ Spider von 1978. Außergewöhnliches Design bietet der Peugeot Peugette von 1978, bei dem das Heck deutlich der Front gleicht. Für Chevrolet baute Pininfarina die Studie des formschönen XP-897 GT. 1980 wurde zum 50. Jubiläum von Ferrari die Studie des Pinin gebaut.
Pininfarina begann immer mehr Studien, Prototypen und One-Offs zu bauen. Immer bestrebt, die Aerodynamik noch weiter zu verbessern. Manche Studien waren ihrer Zeit bereits weit voraus, wie zum Beispiel der PF-X von 1960, den Pininfarina zusammen mit Prof. Alberto Morelli von der Polytechnischen Universität Turin entwickelt hatte. Mit dieser Studie war Pininfarina technisch betrachtet seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Der PF-X erreichte einen Strömungswert von 0.23 und die strömungsbegünstigte Karosserie sitzt auf einem Fahrwerk mit rautenförmig angeordneten Rädern. Gelenkt wird über das vordere Rad, der Antrieb läuft über das mittig angeordnete hintere Rad. Als Antrieb dient ein Fiat Motor. Durch die Aerodynamik wurde 20% mehr Leistung erzielt.
Eine große Bedeutung für den europäischen Automobilbauer hatte auch die für die British Motor Company entworfene Studie BMC 1800 Berlina-Aerodinamica von Designer Leonardo Fioravanti. Das Design hatte einen großen Einfluss auf die Citroën CX Modelle.
Highlights aus der Prototypen-Serie Pininfarinas waren zum Beispiel der 1970 Ferrari 512S Modulo. Die Idee wurde bereits 1968 geboren. Es sollte das verrückteste Traumauto der Welt werden – gewaltig, einzigartig und unnachahmlich. Und dies ist sicherlich gelungen. Noch heute wirkt der Ferrari 512S Modulo mit seinem futuristischen Design wie aus einem Science-Fiction-Film entsprungen. Paolo Martin zeichnete einen Prototypen, der zwar keilförmig war, im Querschnitt allerdings eher dem Schnittmodell eines Flugzeugflügels glich. Es herrscht eine perfekte Symmetrie in der Dachlinie und der Seitenlinie des Unterbaus. Ursprünglich sollte die Heckscheibe von einer Abdeckung mit 16cm großen Löchern geziert werden. Wegen der besseren Aerodynamik verzichtete man darauf. Der Modulo hat keine Türen im herkömmlichen Sinne, bei ihm hebt sich das gesamte Dach mit den Seitenfenstern nach vorne und bietet Platz zum Ein- und Aussteigen.
Ähnlich gestaltete auch Pininfarina-Designer Filippo Sapino den Pininfarina Abarth 2000 Scorpione. Auch hier wurde das keilförmige Design beibehalten. Die gesamte Fahrerkanzel klappt nach oben weg, um das Einsteigen zu ermöglichen. An der Front befinden sich sechs einzeln verstellbare Scheinwerfer, die der Fahrer je nach Bedarf während der Fahrt einstellen kann. Um Gewicht zu sparen, wurde die Karosserie aus Kunststoff auf einem Gitterrohrrahmen aufgebaut. Der Fiat Abarth Tipo 236 2 Liter Mittelmotor mit Weber Doppelvergaser erzeugt eine Leistung von 220 PS. Damit erreicht der rote Keil eine Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h.
Bereits 1960 stellte Pininfarina einen sehr futuristisch anmutenden Prototypen mit aerodynamisch optimierter Karosserie auf dem Genfer Automobilsalon vor. Den Alfa Romeo 6C 3000CM Superflow IV, auch Super Sport Speciale genannt. Das Dach wurde bei diesem eigentlich als Rennfahrzeug konzipierten Alfa Romeo komplett aus Plexiglas konstruiert. So hatte der Fahrer einen 360°-Rundumblick. Die Form des Dachs glich sich der aerodynamischen Linie des gesamten Fahrzeugs an und verläuft tropfenförmig ins Heck. Das Design durchlief vier Designstufen. Daher auch die IV in der Typenbezeichnung. 6C steht für den Reihensechszylindermotor mit 3,5 Litern Hubraum. Damit erreicht der Sportler eine Leistung von rund 275 PS.
Geschwindigkeits- und Rekordfahrten genossen in den 50er und 60er Jahren Weltruf. Viele dieser besonderen Renn- und Rekordfahrzeuge entstanden seinerzeit bei Pininfarina. So auch der Abarth 1000 Bialbero Rekordwagen, ein Monoposto mit extravaganter Stromlinie. Die kunstvoll ausgearbeitete Karosserieform soll eine aerodynamische Effizienz mit sich bringen und eine spektakuläre Fahrleistung ermöglichen. Der Erfolg sprach für sich. Bei den Geschwindigkeitsrekordversuchen vom 28. September bis 1. Oktober 1960 auf dem Autodromo di Monza erzielte der Abarth 1000 Bialbero mehrere Geschwindigkeitsrekorde. Darunter acht Bestleistungen in seiner Klasse unter 1100 Kubik . Zum Beispiel die 10.000 Kilometer Fahrstrecke mit einem Schnitt von 191,376 km/h.
Ein bemerkenswerter Designer bei Pininfarina war Aldo Brovarone. Ein talentierter Designer, der seinen künstlerischen Höhepunkt Mitte der Sechziger Jahre hatte und eine Reihe spektakulärer Prototypen gestaltete. Darunter auch das Alfa Romeo Giulia 1600 Sport Coupé Pininfarina. Brovarone betonte die tiefe Linie des Chassis mit langen Vorsprüngen und ausgeprägten vorderen Kotflügeln. Eine weitere Charakteristik ist der rote Streifen, der sich vom Alfa Romeo-Logo aus über die gesamte Motorhaube zieht.
Aldo Brovarone beeindruckte sogar Enzo Ferrari mit seinem Design für den Ferrari Dino. 1965 zeichnete Brovarone den Pininfarina Dino 206S Berlinetta Speciale. Von den ersten Zeichnungen bis zur endgültigen Vorstellung auf dem Pariser Automobilsalon verging nur ein halbes Jahr. Aufgebaut wurde dieser Prototyp auf dem Fahrgestell eines Dino 206S Competizione, einem Wettbewerbsfahrzeug. Das Fahrzeug hat eine sehr ästhetische Linie. Er besitzt eine sehr niedrige stromlinienförmige Linie. Der vordere Teil des Fahrzeugs ist für den geringsten Luftwiderstand konstruiert und fällt sehr ab. Die Frontscheinwerfer sind durch eine Plexiglasscheibe, die sich der Form der Front anpasst, abgedeckt. Die vordere Haube ist sehr glatt und hat nur eine einstellbare Hutze für den Wasserkühler. Die Kotflügel stehen hoch hervor, dass sie die gesamten Reifen verdecken, fließen aber harmonisch in die tiefe Haube über. Die Frontscheibe zieht sich sehr flach über die Kanzel hinweg. Hinter den Türen befinden sich zwei sehr dezente Lufteinlässe für den Mittelmotor. Ab der Heckscheibe fällt die Seitenlinie wieder deutlich ab und verläuft fließend in das tief liegende Heck.
Ein zweiter Prototyp des Dino 206S wurde 1967 von Pininfarinas Designer Paolo Martin entworfen. Dieses Modell gefiel der Presse damals sogar noch etwas besser.
Extrem selten und mit ganz besonderer Historie ist der Ferrari 250GT Le Manc Stradale Speciale. Er wurde 1960 auf dem Pariser Automobilsalon als Nachfolger des sehr erfolgreichen Ferrari 250 GTO vorgestellt . Die FIA verweigerte jedoch die Homologation des 250 GT LM und forderte Ferrari auf, das Modell als Prototyp zu deklarieren, da er komplett auf dem Ferrari 250P Prototypen aufgebaut wurde. Doch dem Erfolg tat dies keinen Abbruch, denn 1964 fuhr der 250 GT LM bei den 24H von Le Mans den Gesamtsieg ein.
Die Liste der Designstudien und Prototypen, die bei Pininfarina entstanden, ist lang. Jedes für sich ist ein Meisterwerk. Darunter Fahrzeuge wie der 1968 Pininfarina Ferrari 250 P5 Berlinetta Speciale, der 1968 Pininfarina Ferrari P6 oder das Pininfarina Alfa Romeo 33/2 Coupé Speciale. Jedes Fahrzeug ist ein absolutes Design Highlight und in seiner Form noch bis heute modern anmutend.
Alle Bilder Copyright Kay MacKenneth / 1 Bild Pininfarina