Tom Gädtke hat sich in der Welt klassischer Porsche-Modelle einen Namen gemacht. Auf Social Media ist er bekannt als @onassisporsches, sich selbst beschreibt der 40-Jährige als Schrauber, privat fährt er einen Porsche 356. Kann der 911 Speedster (991) den Oldtimer-Liebhaber überzeugen? Hier seine ganz persönlichen Eindrücke im Rahmen einer Alpen-Tour:
Da stehe ich also. In den Bergen. Neben einem neuen 911 Speedster der Baureihe 991. Mit Heritage Paket. Aber fangen wir von vorn an. Warum bin ich hier und was mache ich hier überhaupt? In Österreich, am Fuße des Großglocknermassivs. Mit eben jenem genannten Fahrzeug in Mitten von „anderen“ Porsche 911, meist aus den luftgekühlten Modelljahren. Menschen, die mich kennen, wissen, dass mein Herz eigentlich für die alten Eisen schlägt.
Mein 356 aus dem Jahr 1961 ist gut in Schuss, aber kompromisslos auf Drehzahl getrimmt und mit knapp 60 Jahre alten Gangpaaren im Getriebe ausgestattet. Das pure Vorhaben der kommenden Tage, 2000 Kilometer auf eigener Achse zu absolvieren und die perspektivisch schnellen Bergetappen schadlos zu überstehen wäre – gelinde gesagt – optimistisch. Kann man machen, muss man aber nicht. Für mich ist es ein Experiment der Futurologie. Ausgang offen.
Porsche 911 Speedster: puristische Fahrmaschine
Also dann eben Speedster 991. Meine vorfreudige Erwartungshaltung an dieses Fahrzeug basiert einzig und allein auf bekannten Eckdaten. Nicht auf Erfahrungen oder einem Vergleich. Denn die habe ich mit solch neuen Fahrzeugen schlichtweg nicht. Das Zündschloss ist links, Porsche steht drauf, klassische H-Schaltung, kenne ich. Im Speedster mit sechs Gängen statt vier, wie in meinem eigenen Porsche. Drei Pedale, das Gas leicht geneigt wie immer. Sonst hat er nicht viel. Ein Lenkrad mit einer Hupentaste und ohne einen einzigen weiteren Knopf. Sehr sympathisch! So kann man sich nicht verheddern, wenn es mal fixer gehen soll. Laut Lehrbuch: Fahrmaschine.
Und so sieht der Plan für die kommenden 48 Stunden aus: etwa 800 Kilometer Pass-Straßen in einer Gruppe bestehend aus mehr als 25 Porsche 911. Modelljahre 1965 bis 2019, zum Teil modifiziert. Keine Ampeln, ein geplanter Stopp pro Tour. Addiert zu hunderten von Höhenmetern, gewunden und gezirkelt. Mal eng, dann wieder weitläufig, viel Bremse und viel Drehzahl. Aber darüber mache ich mir am wenigsten Sorgen, denn wenn der Motor eines kann, dann ist es drehen. Und über allem steht folgende Frage: Ist der Speedster trotz oder gerade vielleicht wegen seines spartanischen Konzepts DAS Auto für solch eine Tour?
Früher Start zur Großglockner Hochalpenstraße
Der Wecker hat sehr früh angeschlagen und so stehen wir pünktlich um 5:15 Uhr an der Mautstation am Fuße des Großglockners. Vor der Schlange der 911 eine Hand voll Motorrad-Artisten, die wohl noch früher aufgestanden sind. Dazu einige Pedal-Virtuosen, die scheinbar die morgendliche Kühle nutzen wollen, um so hoch wie möglich zu klettern, bevor die Sonne die Luft erhitzt.
5:30 Uhr, Ampel auf Grün. Das Ticket gelöst, eine Wagenladung Faltblätter, Aufkleber und Newsletter während des Anrollens hinter den Sitz verstaut. Sitzposition hergerichtet, runter geschalten und: lasset die Spiele beginnen!
Kann der Speedster überzeugen?
Wer die nun folgende Strecke hoch hinauf auf knapp 2.500 Meter schon einmal selbst gefahren ist, dem muss man das Erlebte nicht schildern. Wer noch nicht das Vergnügen hatte, dem sei gesagt, dass eine Kombination aus Autobahnasphalt und Riesenslalom bergauf ziemlich genau das ist, was einen erwartet. Der anspruchsvoll „gesteckte“ Kurs ist in Teilen ein Alberto Tomba-tauglicher, enger Slalom und entwickelt sich in einigen Passagen zum wahren Super G. Hier, wenn der Motor auch mal über die kernige Grenze von 4.000 Touren drehen darf, kommt wahre Freude auf.
Ich bin dankbar, glücklich und zufrieden zugleich, denn unser Plan, noch vor dem Sonnenaufgang oben auf dem Gipfel zu sein, geht auf. Fühlt sich ein bisschen so an wie eine Runde Joggen am Morgen mit der Perspektive auf eine Dusche und den Milchkaffee in seinem Lieblingsstrandhaus. Nur eben in den Bergen. Kühler und deutlich klarer. Dampfende Kaffeetassen der über Nacht zurück gebliebenen Camper reihen sich nahtlos in die kleinen Säulen dampfender Endrohre ein. Und davon hat diese Gruppe einige zu bieten.
Ich genieße den Moment, denn ich habe gerade meine erste Bergetappe mit einem „Supersportler“ absolviert. Gemessen an den Superlativen der Automobilindustrie ist der Speedster sicherlich kein Kandidat für diese Kategorie. In meinem Kosmos hakt das Auto aber sämtliche „Checkboxes“ ab, die es als Pflichtfelder zu erfüllen gibt. Ich bin begeistert, denn er funktioniert so intuitiv wie anno dazumal das erste Telefon des Herstellers mit dem Apfel. Was das Auto in mir ausgelöst hat, werde ich wohl erst am Ende dieser Tour en Detail wissen.
Der Speedster ist in der Kürze der Zeit Teil der Gruppe geworden
Nachdem wir den morgendlichen Sprint zum Gipfel erledigt haben, heißt es warten und genießen. Es wird heller, aber ungebrochene Sonnenstrahlen richten sich noch nicht auf uns. Und dann ist er da, dieser einmalige Moment, der Menschen rund um den blauen Planeten in den Bann zieht. Die Luft färbt sich golden und die Schatten zeichnen Silhouetten. Der Speedster mit geschlossenem Dach, getaucht in goldenes Licht vor einer blauen endlosen Weite – unfassbar gut.
Das Wetter ist wie gemalt und die Stimmung blendend – bei Fahrern und Autos. Alle Boliden zeigen sich willig. Der Speedster ist in der Kürze der Zeit Teil der Gruppe geworden und vollständig adoptiert. Vielleicht sogar assimiliert. Optisch mit der weißen Nase, die ihm wirklich hervorragend zu Gesicht steht, definitiv keine Stangenware und somit unter den Freunden der eher kreativen Porsche-Hemisphäre Gesprächsthema. Die Fragen nach dem „wie ist er denn nun so“ werden häufiger und ich versuche neutral zu bleiben.
Im Herzen bin ich noch immer ein Liebhaber der alten Porsche. Zumindest steht das so auf meinem Etikett. Auto halt, vier Räder und fährt. Schnell ist er, ja. Wäre aber auch schlimm, wenn nicht. Und so weiter. Zu diesem Zeitpunkt hat sich in mir allerdings bereits etwas in Gang gesetzt, das ich vor Antritt der Tour nicht erwartet hätte. Eine Unruhe, die ich so bislang nicht kannte. Wir haben keinen Zeit- oder Termindruck und trotzdem will ich weiter. Fahren! Mit diesem Auto!
Und so bin ich dann am Ende eines langen Tages tatsächlich wirklich glücklich, denn die letzten Kilometer legen wir im cruise mode mit offenem Verdeck in der beginnenden Dunkelheit zurück. Durch lange Täler schlängeln wir uns umrahmt von Bergen in Richtung Feierabend.
Weiter zu Porsche Italia – in die Dolomiten
Nach einer kurzen und soliden Nachtruhe, man hatte am vergangenen Abend viel zu erzählen, füllt sich langsam die Gaststube der Herberge. Am heutigen Tag gibt es ein neues Ziel. Die drei Zinnen in den Dolomiten. Porsche Italia, wir kommen. Die Kolbenringe des einen oder anderen Teilnehmers sind definitiv weiter als die Augenringe und so beginnt die morgendliche Motorpflege mit einem frischen Schluck aus der Ölkanne. Dinge, die ich als jemand, der selbst schraubt, von meinem alten Auto kenne.
Der Speedster hat an Tag eins seine Qualität unter Beweis gestellt, denn der Wagen wurde wirklich hart rangenommen. Stört ihn aber nicht, im Gegenteil. Er steht da, als wolle er sagen „war´s das schon?!?“. Somit satteln wir kurzerhand auf und reiten los. In Richtung Italien mit der Perspektive auf ein völlig neues Terrain.
Die Straßenführung ist hierzulande gefühlt noch näher an die naturgegebene Topographie angelehnt und damit um ein Vielfaches kurviger als Gestern. Es macht irre Spaß, denn neben der wunderschönen Landschaft genieße ich die unfassbare Präzision in der Lenkung des Speedster. Brems- und Lenkpunkte sind durch das Licht- und Schattenspiel teilweise erst sehr spät zu erkennen. Ich fahre auf Sicht und das Tempo der Perlenkette ist hoch. Das Auto erledigt den Job mit Bravour. Es gibt keinen einzigen Moment, in dem ich das Gefühl habe, der Wagen wäre nicht wie für dieses Spiel aus Gas, Bremse und Kurvenbeschleunigung gemacht.
Auch die Carabinieri zollen dem Speedster Respekt
Unweit von Cortina d´Apezzo schmeißen wir den Anker an einem der typisch italienischen Gasthöfe mit Blick auf die drei Zinnen. Für eine Weile ist es dolce vita, die mich ereilt, denn wenn man mit Blick auf den Pulk der Boliden einen italienischen Espresso doppio macchiato genießt, wird man sich bewusst, was man hier gerade erleben darf. Dass ich diesen Moment mit einigen guten Freunden teile, werde ich niemals vergessen.
Die Carabinieri freuen sich auch des Lebens und sind, wie sollte es auch anders sein, autoverrückt. So freuen wir uns über den freundlichen Austausch mit den Gesetzeshütern über den einen oder anderen automobilen Exoten, den sie selbst in der Garage stehen haben. Der Speedster erntet auch hier wieder einen respektablen Daumen nach oben, gut gemacht, bene!
Nach dem letzten „Arrivederci“ setzen wir uns wieder in Bewegung und machen uns auf den Rückweg. Vorbei an Felsmauern, hindurch durch Tunnel und Galerien, die in den Felsen gebaut sind, schiebt sich unser Tross wieder in Richtung Österreich. Der Hall der Motoren liegt in den Ohren. Die kleinen luftgekühlten heiser, die größeren mit ordentlich Bassvolumen. Der 4-Liter-Sauger im Speedster singt in seiner ganz eigenen Klasse und hat in einem Drehzahlbereich zwischen 4.200 und 4.500 Umdrehungen einen Klang, der unerreicht ist.
Ich könnte an dieser Stelle noch viele weitere Anekdoten dieses Trips erzählen. Jeder, der das Autofahren liebt und zelebriert, wird sich jedoch mit einfachster Mathematik zusammenrechnen können, was am Ende unterm Strich stehen wird.
Ein Fahrzeug mit derselben Seele wie seine Ahnen
Ich hätte nicht erwartet, dass ein Sportwagenhersteller in diesem Zeitalter bereit und in der Lage ist, ein modernes Fahrzeug zu bauen, das sich im Herzen wie ein Klassiker anfühlt. Ungefiltert, ehrlich, mit Seele.
Kaum ein anderes Fahrzeug-Modell hat mit seiner Einführung in den 50er-Jahren so dermaßen einen Stil geprägt, wie der Ur-Speedster. Vielleicht sogar als erstes Auto überhaupt eine eigene Sparte begründet. Einfach, wenig, kein Glanz und Gloria. Easy going, chic und trotzdem Sportwagen durch und durch.
Der 991 Speedster ist das beste Auto, das ich persönlich je gefahren bin. Weil er alles vergessen lässt, was wir uns an Erwartungshaltung in Bezug auf Komfort und Entspannung antrainiert haben. Auch, weil er ein Werkzeug ist, das funktioniert. Und vor allem, weil er auf jedem Parkett eine extrem gute Figur macht und mit grundehrlichem Stolz daherkommt.
Fotos: ©Porsche
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