160 Fahrzeuge und insgesamt 1.500 Exponate präsentiert die vielfältige Dauerausstellung des Mercedes-Benz Museums. Ein besonderer Bestandteil sind die „33 Extras“: Sie lassen am Beispiel oft überraschender Details Mobilitätshistorie und Automobilkultur lebendig werden. Die Reihe Mercedes-Benz Museum Inside lenkt den Blick auf die „33 Extras“ und bringt ihre Geschichten auf den Punkt. In der heutigen Folge geht es um das Lenkrad.
8/33: Das Lenkrad
1 – Präzision: Im Jahr 1894 erhält das Automobil erstmals ein Lenkrad. Premiere feiert es im ersten Motorsportwettbewerb der Geschichte auf der Fahrt von Paris nach Rouen. Der französische Ingenieur Alfred Vacheron rüstet damit sein von einem Daimler-Motor angetriebenes Fahrzeug der Marke Panhard & Levassor aus. Im Vergleich zu den bis dahin üblichen Hebeln ermöglicht ihm das Lenkrad eine präzisere Steuerung – und damit auch ein höheres Tempo. Sein Steuerrad besteht aus einem runden Griffkranz, der über Speichen mit der Lenksäule verbunden ist – das bis heute gültige Grundprinzip.
2 – Kurbel oder Lenker: Bevor sich das Lenkrad um die Jahrhundertwende durchsetzt, gibt es vielfältige Lösungen, bis hin zu solchen, die einem Fahrradlenker ähneln. Carl Benz verwendet beim dreirädrigen Patent-Motorwagen von 1886 eine Drehkurbel, die den Steuerimpuls des Fahrers auf die Lenksäule überträgt. Gottlieb Daimler stattet seine vierrädrige Motorkutsche von 1886 mit einem kreuzförmigen Griff aus.
3 – Bedeutung: Das Lenkrad setzt sich am Ende durch, weil es sich intuitiv bedienen lässt. Es ist neben Pedalerie und Sitz die wichtigste Schnittstelle zwischen Mensch und Automobil. Ein Vorteil: Die Fahrtrichtung kann viel feinfühliger bestimmt werden als mit einem Hebel. Denn das Rad erlaubt die Übersetzung des Lenkeinschlags in mehrere Umdrehungen.
4 – Zusatzfunktionen vor 120 Jahren: In der Mercedes-Simplex Modellfamilie ist ab 1902 das Lenkrad bereits mit Hebeln ausgestattet, über die wichtige Motorfunktionen eingestellt werden, insbesondere Zündzeitpunkt und Gemischbildung. In den 1920er-Jahren kommt der Lenkradring für die Bedienung der Hupe dazu – quasi ein frühes System der Car-to-X-Kommunikation.
5 – Zusatzfunktionen heute: Über heutige Lenkräder lassen sich zahlreiche Systeme bedienen, etwa der Bordcomputer, die Sprachsteuerung, Telekommunikation und Multimedia. Hinzu kommen die in unmittelbarer Nachbarschaft angeordneten Hebel. Im Sommer 2020 stellt Mercedes-Benz die nächste Generation des Steuers als Kommandozentrale vor – das kapazitive Lenkrad mit digitalen Bedienfeldern.
6 – Ergonomie und Emotion: Die technischen Ansprüche an das Lenkrad sind hoch. Aber auch die an das haptische Erlebnis. Denn wenn das Lenkrad beim Anfassen nicht als angenehm empfunden wird, kann sich das auf die Fahrzeugbedienung auswirken. Neben Materialien spielt auch das Design eine wichtige Rolle.
7 – Idealer Ort: Zur Lenkrad-Ergonomie gehört auch seine Position im Fahrzeug. Das machen bereits der Daimler Phönix-Rennwagen von 1900 und der innovative Mercedes 35 PS aus dem Jahr 1901 deutlich: Ihre Lenksäulen sind deutlich stärker geneigt als bis dahin üblich. So lassen sich diese Automobile viel besser und dynamischer steuern. Das trägt zur Fahrsicherheit bei – aber auch zum überwältigenden sportlichen Erfolg der Mercedes 35 PS in der Woche von Nizza 1901.
8 – Größe und Gewicht: Die ersten Lenkräder geben Auskunft darüber, wie groß und schwer ein Fahrzeug ist. So brauchen Lastwagen, Busse und auch Repräsentationsfahrzeuge zunächst gewaltige Steuerradkränze. Nur so entsteht aus purer Muskelkraft eine ausreichend große Hebelwirkung, um die notwendige Lenkkraft zu übertragen. Deutlich macht das zum Beispiel der Mercedes-Benz O 10000 im Mercedes-Benz Museum (Raum Collection 2: Galerie der Lasten): Er hat ein riesiges Lenkrad. Erst mit dem Aufkommen der Servolenkung können Lenkräder in großen Fahrzeugen kleiner werden. Diese Entwicklung beginnt in Personenwagen. Der Mercedes-Benz 300 ist im Jahr 1958 die erste Limousine der Stuttgarter Marke mit diesem System. Ab den 1960er-Jahren erhalten dann immer häufiger auch Mercedes-Benz Nutzfahrzeuge die Lenkunterstützung.
9 – Gepolstert: Mercedes-Benz ist ein Vorreiter für passive Sicherheit. Im Rahmen des 1959 verwirklichten Sicherheitskonzepts bei der Baureihe W 111 erhält die „Heckflossen“-Limousine erstmals ein Lenkrad mit einer gepolsterten, großflächigen Prallplatte. So wird das Verletzungsrisiko verringert. Im Jahr 1967 führt Mercedes-Benz serienmäßig für alle Fahrzeuge die Sicherheitslenkung mit Teleskoplenksäule und Pralltopf ein. 1981 schließlich hält der Fahrer-Airbag im Lenkrad Einzug. Diese Weltneuheit von Mercedes-Benz für Serienautomobile hat in der S-Klasse der Baureihe 126 Premiere.
10 – Forschung: Ein Auto ohne Lenkrad? Mercedes-Benz hat dieses Szenario zumindest in Versuchs- und Forschungsfahrzeugen durchgespielt. So wird das 1996 präsentierte Forschungsfahrzeug F 200 Imagination mithilfe von Sidesticks gesteuert. Das innovative System funktioniert tadellos. Doch das Lenkrad bleibt weiterhin das Mittel der Wahl. Das gilt für Serienautomobile genauso wie für moderne Rennwagen mit ihren hochkomplexen Steuereinheiten. Vielleicht kommen autonom fahrende Autos von morgen ganz ohne Lenkrad aus. Doch zunächst unterstützt das neue kapazitive Lenkrad von Mercedes-Benz Funktionen des autonomen Fahrens – und zwar so umfassend wie nie zuvor.
Fotos: ©Mercedes-Benz-Museum
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