„Das beste Auto für Madame“ lautet Anfang der 1960er Jahre schon das Fazit des Modemagazins „Elle“ zum Renault 4 nach einer Leserinnenumfrage. Wie hervorragend es um die Robustheit, Wirtschaftlichkeit und das viel gelobte Federungssystem des kompakten Franzosen wirklich bestellt ist, will das 26-jährige Mannequin Michèle Ray 1965 dann ganz genau wissen: Als Kopf eines unternehmenslustigen Damenquartetts, das als „4 Elle“ in die Automobilgeschichte eingehen wird, startet sie mit zwei Renault 4 eine spektakuläre Expedition von Feuerland nach Alaska.
Neben der späteren Journalistin und Filmproduzentin Ray lassen sich Éliane Lucotte, Betty Gérard und Martine Libersart auf das wilde Abenteuer ein. Im Juni erreichen sie mit ihren beiden vollgepackten Renault 4 den Startpunkt der Reise, Ushuaia im äußersten Süden Feuerlands. Als sie am 11. Juni den Schlüssel im Zündschloss drehen, liegt eine 40.000 Kilometer lange Fahrt über größtenteils unbefestigte Wege vor ihnen. Gut 30 Zentimeter Neuschnee bedecken am Startpunkt die Fahrspur.
Die Wahl des passenden Autos war wohl durchdacht: „Der R4 ist aus mehr als einem Grund ein Auto für Frauen. Leicht zu fahren, aber vor allem auch leicht zu heben“, so Ray. Keine leeren Worte, sondern immer wieder Notwendigkeit auf dem Weg quer durch die unwegsame Wildnis Südamerikas. Aus unzähligen Fahrrillen und Schlaglöchern müssen die vier ihr Gefährt immer wieder „herauswippen“. Auch die dreiwöchige Spezialausbildung in einem Renault Werk vor Reiseantritt erweist sich als wertvoll: Unterwegs können sich die vier Damen bei Reifenwechsel und technischen Problemen jederzeit selbst helfen.
Ein Koffer Kleider, Karabiner und Macheten im Gepäck
Statt Pauschalreise mit allem Komfort durchquert die „Expedition Michèle Ray“ Argentinien, Paraguay, Brasilien, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, ganz Mittelamerika und schließlich Mexiko, die USA und Kanada. Die beiden Renault 4 sind voll beladen mit Benzinkanistern, Werkzeug, Ersatzrädern, Filmmaterial. Für Kleidung bleibt ein einziger Koffer, den sich die vier während der gesamten Reise teilen müssen.
Unendliche Waschbrettpisten in Argentinien und mehrstündige Auseinandersetzungen mit hartnäckigen Beamten in Brasilien können die mutigen Französinnen nicht stoppen. Vor der Durchquerung des unwegsamen Mato Grosso ergänzen sie kurzerhand ihre Ausrüstung um einige Karabiner, Munition und Macheten.
Ohne Navi quer durch die Kordillieren
Regelmäßig müssen die vier ihre Wagen entladen, um sie aus den ärgsten Schlammlöchern wieder freizubekommen. Sobald das Auto wieder beladen ist, sind es nur wenige Meter, bis es in der nächsten Grube einsackt. Selbst die Pausen sind kein wahres Vergnügen, da Michèle Ray und ihre Begleiterinnen die Lebensmittel rationieren müssen, um Gewicht zu sparen. Lediglich Orangen und von den Einheimischen spendierte Milch sorgen für Abwechslung auf dem Speiseplan. Nach 1.300 Kilometern „Blindflug“ ohne genaue Wegangaben erreichen sie endlich San Ignacio in Bolivien.
Die nächste Etappe führt durch die Kordillieren bis nach Chacaltaya. Souverän meistert der R4 den Anstieg bis auf 5.200 Meter. Auch in diesen Höhen bleibt der Vierzylinder trotz des abgemagerten Gemischs nicht stehen. Weiter geht es durch Peru und Ecuador. Ohne es gleich zu merken, verlieren sich die beiden Teams aus den Augen und erst 400 Kilometer weiter finden sich die Besatzungen wieder. Michèle Ray und ihre Begleiterinnen durchqueren mitten in der Regenzeit Zentralamerika. Immer wieder gilt es Bäche zu durchqueren, viele Brücken sind fortgeschwemmt.
Bei minus 18 Grad ohne Windschutzscheibe nach Alaska
An der nordamerikanischen Westküste geht es schließlich deutlich flotter voran. 1.000 Kilometer lassen sich am Tag schaffen und das Ziel rückt deutlich näher. Aber 1.500 Kilometer vor Anchorage wird die Expedition noch einmal auf eine harte Probe gestellt. Bei minus 18 Grad Celsius Außentemperatur zerschmettert ein Stein die Windschutzscheibe des Führungsfahrzeuges. Michèle Ray beißt die Zähne zusammen, wickelt sich in einen Schlafsack, den sie notdürftig mit Sicherheitsnadeln schließt, und fährt weiter. Alle 60 Kilometer legt sie einen Zwischenstopp ein, um sich wieder aufzuwärmen. Beide R4 kommen danach ohne große Zwischenfälle bis ans Ziel in Alaska.
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