Es gibt Dinge im Automobil, denen man fast keine Beachtung mehr schenkt, weil sie mittlerweile nur noch funktional sind. Dazu gehört auch das Lenkrad – dabei hat gerade dieses eine sehr lange Designgeschichte hinter sich. Das allererste bekannte Lenkrad wurde 1894 von Alfred Vacheron in seinem Panhard 4HP für das Paris-Rouen Rennen eingebaut. Zuvor lenkte man Automobile fast ausschließlich über eine Kurbel, wie sie aus der Kutsche bekannt war. Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis man das Lenkrad serienmäßig in Automobile einbaute. Alle Rambler-Modelle wurden ab 1904 serienmäßig mit einer Lenkung und einem Lenkrad ausgestattet.
Rund 20 Jahre lang war das Lenkrad fortan ein runder Holzkreis mit einer Stahlaufnahme und unterschied sich vielleicht noch in der Verwendung des Edelholzes. Das Lenken eines Fahrzeugs glich damals eher dem Steuern eines schweren LKWs. Das Lenken bei den geringen Geschwindigkeiten war reinste Muskelarbeit. Deshalb dauerte es auch nicht lange, bis die erste Servo-unterstützte Lenkung erfunden wurde. Der US-Amerikaner Francis W. Davis wollte das Fahren von größeren Automobilen und Lastenfahrzeugen erleichtern und baute die erste Servolenkung in einem Fahrzeug ein. Die Technik entsprach vom Prinzip her einer Servolenkung für ein Schiff. 1926 übernahm Cadillac seine Erfindung in Lizenz und baute sie in alle Serienfahrzeuge ein. Allerdings kam die Wirtschaftskrise dazwischen und Cadillac kündigte den Vertrag 1936.
Anfängliche Lenkräder bestanden in der Regel aus vier Stahlspeichen. Alle Unebenheiten und Straßenschäden wurden vom Fahrer sehr direkt über die haltenden Hände aufgenommen. Manche Stöße schleuderten den Fahrer regelrecht aus dem Sitz. Deshalb kam sehr bald das Banjo-Design-Lenkrad auf den Markt. Seinen Namen hat es von den dünnen Drahtspeichen zwischen Lenkstange und Lenkradkranz geerbt. Die dünnen Drahtspeichen, die wie die Saiten eines Banjos aussehen, haben eine Funktion: Sie federn die direkten Schläge von der Straße auf die Lenkung ab. Leider sind diese Lenkräder heute sehr häufig defekt, da die dünnen Speichen über die Jahre leicht brechen. Der Kranz ist meistens mit Kunstharz oder Bakelit überzogen, sodass sie, nachdem die Speichen gebrochen sind, leider auch splittern.
Bis in die 40er und 50er Jahre hatte das Lenkrad lediglich eine technische Funktion und deshalb blieben die meisten Lenkräder sehr puristisch. Man variierte mal in der Farbe oder dem Material und vielleicht noch mit einem sehr schönen Hupenknopf im Zentrum. Aber langsam begann man nicht nur an der Karosserie und an der Innenausstattung Design mit Funktion zu verbinden, sondern auch an so selbstverständlichen Dingen wie einem Lenkrad. Das Holzlenkrad wurde zum Ausdruck von Sportlichkeit und Luxus und blieb daher nur noch den sportlichen Fahrzeugen vorbehalten. Holzlenkräder waren plötzlich sehr teuer und galten als besonders elegant.
Mittelklassefahrzeuge bekamen plötzlich stilvolle Lenkräder. Schick in Weiß, elfenbeinfarben oder sogar Türkis oder Rot. Die Form des Lenkrads veränderte sich je nach Geschmack. In den 50er und 60er Jahren wurden die Lenkräder sehr dünn. Man trug Fahrerhandschuhe passend zum Lenkrad und der Innenausstattung. Aber auch die Form der Lenkräder veränderte sich und es wurde gestaltet. Steuerknüppelartige Lenkräder wie beim Messerschmitt Kabinenroller folgten dem Trend, dass das Design dem „Jet“-Zeitalter folgte. Große Heckflossen, die an Leitwerke erinnern, Cockpit-artige Instrumente und ein Lenkrad, das den Fahrer in einen Jet versetzen soll, wie beim Bristol oder dem Alfa Romeo 6C 2500. Beide Lenkräder heben eine „Bumerang“-förmige Speiche.
Auch Funktionalität stand plötzlich im Raum und die Designer spielten mit sehr interessanten zusätzlichen Funktionen, wie z.B., dass man beim Mercedes Benz 300 SL das Lenkrad mit einem kleinen Griff umklappen kann, damit das Ein- und Aussteigen bequemer ist. In den 50er Jahren gab es viele solcher Zusatzfunktionen am Lenkrad. Auch bei Thunderbird konnte man am 1957er Bullet Bird das Lenkrad zur Seite schwenken, damit das Einsteigen erleichtert wird.
Bei der BMW Isetta ist das Lenkrad beweglich an der Türe montiert und wird beim Öffnen der Türe mit hinausgeklappt.
Amerikanische Fahrzeuge hatten richtige Kunstwerke als Lenkrad. Das Lenkrad wurde zum einen über tiefe Speichen näher an den Fahrer herangeholt, damit er viel Beinfreiheit hat, und zum anderen sollte das Lenkrad den Luxus und die Marke repräsentieren. Armaturenbretter und Lenkräder bildeten eine Einheit und wurden extra designt. Auch bei deutschen Fahrzeugen war dieser Trend zu erkennen, wie am Opel Kapitän oder dem Borgward.
Die 60er und 70er Jahre waren die Zeit des experimentellen Designs. Auch bei Serienfahrzeugen spielte man mit neuen Ideen, wie z.B. einem ovalen Lenkrad im französischen Matra. Citroën gestaltete ein Lenkrad mit nur einer Speiche, die das ganze Lenkrad führt. Es war aber auch die Zeit, in der sehr viele Studien bei namhaften Designfirmen entstanden. Der Innenraum des Automobils rückte immer mehr in den Fokus und so gestaltete man die aberwitzigsten Ideen, wie zum Beispiel ein rechteckiges Lenkrad bei Bertone. Beim Lancia Stratos-Prototypen wirkt das Lenkrad wie ein Planet. Da man immer mehr auch auf die Sicherheit des Fahrers achtete, wurden weiche Polster in das Lenkrad integriert. Der Kunststoff hielt seinen Einzug im Lenkrad-Design. Weich gepolsterte Lenkräder, wie bei Giugiaros Asso di Piche waren fortan serienmäßig.
Ab den 80er Jahren wird das Lenkrad multifunktional und im und am Lenkrad werden weitere Bedienelemente angebracht. Und wenn man glaubt, man hat bereits alles gesehen, bringen die Designer einen auch heute noch immer wieder zum Staunen, wie bei dem Cockpit des Renault-Prototypen zu sehen ist.
Fotos: ©Kay MacKenneth
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